Ungleichheit als grösste Herausforderung

Menschenwürde und Freiheit aller werden möglich, wenn wir gesellschaftliche Strukturen schaffen, die Chancengleichheit und solidarische Unterstützung gewährleisten. Wir werden nicht frei geboren, sondern werden durch andere ermächtigt, unseren eigenen Weg zu gehen. Armut ist folglich nicht eine individuelle Fehlleistung, sondern eine gesellschaftlich verursachte Ohnmacht durch Ressourcenmangel.

In den vergangenen neoliberalen Jahrzehnten war der Fokus in vielen Ländern auf persönliche ökonomische Freiheit gerichtet: Wir sollten frei sein zu konsumieren was uns glücklich macht und zu produzieren, was andere konsumieren wollen. Der IMF, eine Organisation, die über Jahrzehnte den Fokus auf ökonomische Freiheit und minimale staatliche Intervention setzte, kommt in neueren Untersuchungen zum Schluss (Dabla-Norris, Era et al. [2015] Causes and Consequences of Income Inequality. IMF, SDN 15/13, pp. 4 ff.), dass zunehmende Ungleichheit zu hohen sozialen Kosten, zupolitischer Instabilität und zu geringerem wirtschaftlichem Wachstum führt, als wenn die untersten 20% der Bevölkerung besser gestellt werden.

Die Weltbank kommt zum selben Ergebnis (The World Bank [2013] End Extreme Poverty – Promote Shared Prosperity. Annual Report, p. 19 & The World Bank [2013] A World Free of Poverty. Annual Report, p. 7), wenn sie schreibt, dass Wirtschaftswachstum allein integrativen Wohlstand nicht befördern kann. Um Chancengleichheit sicher zu stellen, bedarf es grösserer Kooperation zwischen den Entwicklungspartnern.

Gemäss einer OECD Studie (OECD [2015], In It Together: Why Less Inequality Benefits All, OECD Publishing, Paris, pp. 21 f.) bedarf es zur Überwindung der zunehmenden Ungleichheit zwischen Arm und Reich und zur Förderung universeller Chancengleichheit, eines Fokus auf vier Bereiche:

– Beteiligung der Frauen am wirtschaftlichen Geschehen,

– Förderung von qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen,

– Bildungsanstrengungen und ein

– Steuer- und Transfersystem zu effizienter Umverteilung.


Globalisierte Verantwortung

Was auch immer ein jeder und eine jede von uns tut, es hat Auswirkungen auf den Rest der Welt. Entsprechend sollten wir uns für einen gleichberechtigten, kooperativen Umgang miteinander einsetzen und sicherstellen, dass die zugänglichen Ressourcen bestmöglich gleich verteilt werden.

Kooperation

Zu kooperieren bedeutet erstens, Verantwortung für eine Wirklichkeit zu übernehmen, zu der alle einen konstitutiven Beitrag leisten und von der alle betroffen sind. Kooperation zeichnet sich zweitens durch die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Beteiligten aus (Anerkennung). Gleich woher jemand kommt, egal wie alt, welchen Geschlechts oder welcher Hautfarbe jemand ist, ihr respektive sein Beitrag zur Gestaltung der gemeinsamen Wirklichkeit soll in gleichem Masse gehört und ernst genommen werden. Kooperation bedeutet drittens kreative Andersartigkeit. Es ist nicht das Ziel, alle gleich zu machen, sondern jedes Individuum in ihrer Einzigartigkeit gleich zu behandeln. Deren individuelle Geschichten und deren individuelle Hoffnungen sollen die Beziehungen charakterisieren (Respekt). Langfristig verantwortungsvolle Beziehungen bedürfen solidarischer Ausgleichsmechanismen, um Bestand haben zu können (Reziprozität). Dies bedeutet, dass diejenigen, die zurzeit Unterstützung brauchen, diese von den Anderen erhalten. Die Begünstigten sind sich aber bewusst und bereit, in einem späteren Zeitpunkt solidarisch die dannzumal Bedürftigen zu unterstützen.

Eine der grossen Stärken von Kooperation ist die Schaffung von Vertrauen. Die komplexen Arrangements stellen sicher, dass allen ein gerechter Platz gegeben wird, auf welchem sie “beheimatet” sein und mitgestalten können. Die grösste Herausforderung für Kooperation ist aber gleichzeitig, dass sie selber Vertrauen voraussetzt (Voraus-Vertrauen), um überhaupt stattfinden zu können. Dies bedeutet, dass ich unter Umständen Menschen, die ich nicht oder kaum kenne, vertrauen muss, um erfolgreich zu kooperieren. Allerdings schafft erfolgreiche Kooperation wiederum Vertrauen, welches das Voraus-Vertrauen bestätigt und auf eine sicherere Stufe stellt.

Konkurrenz hingegen schafft Misstrauen und verstärkt Machtungleichgewichte, anstatt sie zu reduzieren. Mittels Kooperation kann aber auch bei massivem Machtungleichgewicht die Handlungsfähigkeit und Lebensqualität aller Beteiligten gleichzeitig und diejenige der Schwächsten exponentiell verbessert werden.

Anders und gleich

In den letzten Jahrzehnten ist häufig von kulturellen Eigenarten und Charakteristiken die Rede, die zumeist national angeknüpft werden: Der Amerikaner, die Inderin, der Italiener, die Albanerin, die Chinesen, die Afrikaner (hier lohnt es sich offensichlich nicht, zu sehr zu unterscheiden …).

In der Begegnung mit Anderen geht es unserer Ansicht nach jedoch nicht um sogenannt kulturell-kollektive Differenzen, sondern um auf individueller Basis herzustellende Gemeinsamkeit. Die Geschichten der Menschen, mit denen wir zusammenkommen und arbeiten durften, haben uns stets von Neuem gezeigt, dass wir alle, trotz ganz unterschiedlicher Lebenserfahrungen und Hindernisse, die es zu überwinden galt oder gilt, im Kern stets dasselbe anstreben:

Leben, Gesundheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Freiheit

Wohl gibt es Unterschiede mit Bezug auf die Essensgewohnheiten, Bekleidung, Musik oder Sprache. Diese spielen aber keine Rolle, wenn sich Menschen mit derselben Werthaltung begegnen. Der neoliberale Schweizer versteht sich genauso wenig mit der humanistischen Schweizerin, wie der neoliberale Ruander seine Mühe hat mit der humanistischen Ruanderin. Wer die individualistisch-materialistische ökonomische Freiheit als oberste Lebensmaxime ansieht, wird kaum mit einer an Gerechtigkeit, Menschenwürde und politisch-sozialer Freiheit orientierten Person zusammenarbeiten können. Und dies unabhängig von deren Herkunft.

Zugang zu Ressourcen

“Es wird die Fähigkeit der Armen, selbst produktive Beiträge zur Verbesserung ihrer Lage und zum Nutzen der gesamten Gesellschaft zu leisten, selten anerkannt. Die blosse Tatsache, dass die Armen leben, beweist, dass sie die Fähigkeit zu überleben besitzen. Es ist nicht nötig, dass wir ihnen beibringen, wie man überlebt – das können sie bereits!” (Yunus, Muhammad [2008]: Die Armut besiegen, S. 133, 138).

Die Unmöglichkeit, bestimmte gesellschaftliche Positionen zu erreichen, und die Unmöglichkeit, an ökonomische, soziale, politische oder intellektuelle Ressourcen zu gelangen, sehen wir als zentrales Hindernis zu einem würdevollen, gleichberechtigten und freien Leben. Die Entwicklungszusammenarbeit, die COERESO mit seinen Partnerinnen und Partnern in Ruanda betreibt, soll einen Beitrag zum Abbau dieser strukturellen Gewalt leisten.

Bottom-up Ansatz

Die Entwicklungszusammenarbeit ist ein sehr fragiles Unterfangen, denn die Menschen müssen

  • eine neue und dauerhafte Beziehung aufbauen müssen.
  • Für manche geht es um existenzielle Dinge und
  • das Machtgefälle ist ausgeprägt.
  • Die zu erwerbenden Kompetenzen können nur im Laufe der Zeit aufgebaut und die gesellschaftlichen Strukturen nur bedingt beeinflusst werden.
  • Historische Belastungen und Vorurteile, sowohl traditionelle als auch aktiv genutzte, können einer gleichberechtigten Zusammenarbeit im Wege stehen.

Soziale und geografische Distanzen können eine effektive Kommunikation und die Lösung von Konflikten erschweren, umso wichtiger ist es, Vertrauen aufbauen zu können.
Um Würde, Gerechtigkeit und Freiheit zu ermöglichen, ist es am besten, wenn Ideen und Initiativen aus der Gemeinschaft, für die Gemeinschaft und von der Gemeinschaft entwickelt und umgesetzt werden (in Anlehnung an A. Lincoln). Wir wissen nicht, was die Menschen brauchen, und wir sind es nicht, die die Projekte umsetzen, am Leben erhalten und entwickeln müssen.

Ein Großteil der Finanzierung wird von COERESO und verschiedenen Partnern ermöglicht. Die Menschen vor Ort tragen die Hauptlast, wir schaffen Zugang zu finanziellen Ressourcen und bieten intellektuelle und konzeptionelle Überlegungen sowie moralische Unterstützung.

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